Es war einmal

BDS Disziplin 97-11

Zur Enstehungsgeschichte der BDS Disziplin 97-11

Folgender Artikel ist mit Genehmigung von Matthias S. Recktenwald,
Chefredakreur VISIER, zur Verfügung gestellt worden.
Inhalt ohne Bilder hier wiedergegeben.

25. August 2005

Neues für Western-Sportler

Beim BDS-Western-Turnier Philippsburg Star 2005 (12. bis 14. Juli) feierte ein neues Match seine Urständ

Auch wenn es an dem Sonntagmorgen fast so sehr goss wie in Kevin Costners Cowboy-Kinoepos "Open Range", so fanden sich auf der großen Stage 10 der Philippsburger BDS-Anlage Dutzende von neugierigen Western-Schützen aus ganz Europa ein. Sie alle wollten das Debüt einer neuen Schießdisziplin miterleben. Entwickelt von dem Hamburger Top-Schützen und erklärten Western-Fan Reinhard Baumann sowie dem stellvertretenden BDS-Bundessportleiter Western-Schießen, Andreas Schmitz, trägt sie den Namen "9711".

Die namentlichen Anklänge an das berühmte Kölner Duftwasser kommen nicht von ungefähr Baumann: "Als ich gerade die ersten Pläne für diese Disziplin entwickelt hatte, besuchte ich bei einer Reise durch Arizona in dem Städtchen Payson einen Laden. Kaum hatte die Inhaberin festgestellt, dass ich aus Deutschland kam, erzählte sie mir, dass sie in früheren Jahren immer das bekannte Fortyseveneleven, also 4711, bekommen habe. Da machte es bei mir Klick, und ich hatte den Namen für die neue Sportart 9711 oder Ninetyseveneleven. Diese Ziffern finden sich ja auch in den Modellbezeichnungen der beiden für diese Disziplin nötigen Waffenmodelle wieder."

Denn bei der neuen Disziplin stehen weniger die Lever-Action-Gewehre à la Marlin oder Winchester oder die Single-Action-Revolver im Vordergrund, als vielmehr die neueren Waffen, wie sie um 1900 in Mode kamen. Hier geht es um Vorderschaft-Repetierflinten wie die Winchester M 1897 (sowie deren Kopien) und Selbstladepistolen im Stil der Colt Government M 1911.

Brr, Brauner, halt, mag da mancher einwenden, nach 1900 war doch der Wilde Westen längst aus und vorbei, alles Geschichte, oder?

Jein. Fragt man die Fachleute, wann denn nun diese Ära vorüber gewesen sei, dann erfolgt oft der Verweis auf den US-Historiker Frederick Jackson Turner und eine berühmte Rede, die er 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gehalten hat. In dem Text mit dem Titel "The Significance of the Frontier in American History" (Die Bedeutung der Grenze in der US-Geschichte) zitierte Turner ein Bulletin des für die Volkszählung zuständigen US-Superintendenten. Dieses offizielle Papier stellte fest, dass es in den USA so gut wie kein unbesiedeltes Gebiet mehr gebe und man infolgedessen kaum noch von einer Frontier sprechen oder über eine Westwanderung reden könne.

Turners zuerst unbeachtete, aber in späteren Jahren unter Historikern richtungweisende Rede endete so: "Und nun, vier Jahrhunderte nach der Entdeckung Amerikas und am Ende der ersten hundert Jahre unserer Verfassung, ist die Grenze verschwunden, und mit ihr schließt die erste Periode der amerikanischen Geschichte".

Das heißt auf Deutsch: Die Westwanderung war zu Ende, weil es keine neuen Gebiete mehr zu besiedeln gab, soweit okay. Das heißt aber nicht, dass die Epoche des Wilden Westens zu Ende gewesen sein ganz im Gegenteil: Mancherorts ging es da erst jetzt so richtig zur Sache.

In jener Zeit kämpften Texas Rangers gegen die als "tequileros" bekannten Schnapsschmuggler, da jagten mexikanische Rurales (Landgendarmen) unter dem Befehl des ehemaligen russischen Fähnrichs zur See Emil "Emilio" Kosterlitsky nordamerikanische wie mexikanische Marodeure, und die Arizona Rangers unter Burton "Cap" Mossman, Tom Rynning und Harry C. Wheeler scheuchten ab 1901 einheimische wie ausländische Viehdiebe, das Gleiche tat im Nachbarterritorium die 1905 gegründete New Mexico Mounted Police. Zudem ging es in neuen Erz-Boomstädten wie Telluride oder Cripple Creek ähnlich drunter und drüber wie eine Generation zuvor in Tombstone oder Deadwood mit dem Unterschied, dass nun viele der Bretterhütten einen eigenen Telefonanschluß und Elektrizität besaßen und draußen neben den Pferden auch Autos und Fahrräder parkten.

1898 lockte das Gold von Alaska die Glücksritter an. Tausende von ihnen quälten sich durch Schnee und Eis zu den Minen, Ex-Pistoleros wie Wyatt Earp gingen es gelassener an und betätigten sich am Polarkreis als Kneipiers, der junge Schriftsteller John Griffith Chaney alias Jack London fand sein wichtigstes Thema und begründete so eine literarische Karriere von Weltrang. Um die Jahrhundertwende begann dann in der Prärie von Texas und Oklahoma der Ansturm aufs Erdöl, in dessen Folge weitere Boomstädte aus dem Boden schossen. Und auch dort ging es ähnlich kunterbunt zu wie einst in den Rinderstädten entlang des Schienenstrangs. Und mit Figuren wie dem 1955 gestorbenen Texaner Pattillo Higgins, der das große Spindletop-Feld erschloss, gab es da Charaktere, die ebenso farbig waren wie einst die der Indianergrenze.

Während all das geschah, brodelte es in Mexiko, bis hier 1911 der Diktator Porfirio Diaz ins Exil gejagt wurde und die Revolutionswirren ihren Anfang nahmen. In deren Folge leisteten sich "revolucionarios "ebenso mehrfach Übergriffe auf US-Gebiet, wie sich Amerikaner unter Missachtung internationaler Abkommen südlich des Rio Grande umtaten. Als Folge verhielt sich die Bevölkerung entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze genauso wie gut 70 Jahre zuvor in den Kriegen gegen die Comanchen man verließ sein Haus prinzipiell nicht ohne Waffe.

Hier gibt's noch ein paar Tips zum Lesen und zum Schauen...

All das ging nicht spurlos an der Waffenindustrie vorbei, wie Reinhard Baumann anmerkt. Baute Colt während der 1880er und 1890er in jedem Jahr allenfalls ein paar tausend Stück seines berühmtesten Revolvers, des Single Action Army M 1873, so explodierten die jährlichen Produktionszahlen dieses als "Peacemaker" (Friedensstifter) oder "Hogleg" (Schweinsfuß) bekannten Revolvers nach 1898, um 1902 auf einen bislang unbekannten Höchststand von zirka 18000 Mustern zu kommen. 1907 lag der Ausstoß noch bei 16000 Peacemakern, danach fielen die Zahlen wieder. Doch handelte es sich bei dem Colt M 1873 zu dem Zeitpunkt um eine aus militärischer Sicht völlig veraltete Waffe, so dass die Kunden nur in Zivilkreisen zu finden gewesen sein müssen.

Und diese Entwicklung bildete bei den für Jagd, Sport und Selbstverteidigung bestimmten Waffen keine Ausnahme. Ähnliche unerwartete Fertigungsspitzen lassen sich in jenen Jahren auch bei anderen Herstellern wie Winchester und Marlin für ihre Repetier-Hahnflinten nachweisen der Beleg dafür, dass diese Waffen in jenen Jahren dringend gebraucht und somit auch gekauft worden sind.

Zur gleichen Zeit feierten auch die neuen, von John Moses Browning entwickelten Colt-Pistolen im Stil der Government M 1911 ihr Debüt. Damit ausgerüstet, zogen etwa die US-Kavalleristen und ihre Apachen-Scouts bei US-General John "Black Jack" Pershings Kampagne gegen Pancho Villa durch den Norden Mexikos.

In den USA hat all das daher längst schon Eingang ins Western-Schießen gefunden. Und auch in Europa mehren sich die Stimmen der Schützen, die mit den altmodisch-umständlichen Vorderschaftrepetier-Hahnflinten und den Government-Pistolen auf Stahlziele schießen möchten und all das im Western-Ambiente.

Da die Colt Government in Deutschland ja sowieso zu den am meisten verkauften Großkaliberpistolen gehört, stehen die Bedingungen für eine neue Disziplin denkbar günstig. Und natürlich achten Baumann und Schmitz darauf, dass hier die Sicherheitsregeln befolgt werden und alles mit rechten Dingen zugeht. Weswegen diese neue BDS-Disziplin auch bereits den entsprechenden Behörden zur Genehmigung vorliegt.

Apropos Behörden: Zum Western-Schießen gehören ja seit eh und je die als "Side Matches" bekannten Nebenwettbewerbe. Die beiden ersten waren hier das Long-Range-Schießen mit einschüssigen Blockbüchsen (im Baustil der Sharps M 1874, M 1875 und M 1877, der Rolling-Block-Modelle von Remington und Whitney etc. pp) sowie das Schießen mit Unterhebel-Repetierern in Gewehrkalibern. Zu dieser Side-Match-Klasse gehört auch das neue 9711-Match. Die zuständigen Behörden verlangten nun aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit, dass auch das Regelwerk dieser Nebenwettbewerbe eindeutig zu formulieren und ihnen dann zur Absegnung vorzulegen sei.

Also machten sich die stellvertretenden Bundessportleiter des BDS-Westernschießens, Reinhard Baumann und Andreas Schmitz, schon lange vor dem "Philippsburg Star" im Mai daran, entsprechende Texte zu verfassen. Die Regeln für die Side-Match-Gewehrdisziplinen wurden laut Reinhard Baumann zudem in enger Absprache mit Sigrid Schuh, der BDS-Bundessportleiterin für Langwaffen, abgefasst.

Wieder zurück zum Morgen des 14. August nach Philippsburg, auf die Stage 10 und damit hinein in den strömenden Regen: Bei dem ersten Match der "9711" schoss das mit deutschen, schweizerischen, ungarischen und tschechischen Teilnehmern international besetzte Feld gegen die Uhr einen Durchgang auf insgesamt 25 in Fünfergruppen angeordnete Classic Popper. Jeder musste drei mit je fünf Patronen gefüllte 1911er Magazine am Mann führen und insgesamt zehn Schuß mit der Flinte abgeben (wie auch sonst beim Western-Schießen gestatten die 9711-Regeln hier nur Geschosse aus Blei sowie solche mit dünnem Kupferüberzug).

Erschwerend und damit besonders anfordernd für die Koordination war der Umstand, dass die Flinte wie beim Western-Schießen allgemein üblich somit beim Start immer ungeladen war (und ist, so sieht"s das Reglement aus Sicherheitsgründen vor). Sie war in diesem Fall zweimal nach dem Ertönen des Zeitnehmer-Signals auf zu munitionieren.

Auch bei der Pistole standen mehrere Magazinwechsel an, auch musste sie innerhalb der Stage unterladen geführt werden, der Schütze durfte sie erst nach Erreichen der Schussposition durchladen. Damit verbot sich die "Condition Number One" à la Oberst Jeff Cooper, bei der die Waffe durchgeladen und gesichert im Holster geführt wird. Darüber hinaus gab es da nix mit "Weaver Stance" und beidhändigem Anschlag die Pistole war im altmodisch-einhändigen Anschlag mit ausgestreckter Schulter, leicht angewinkeltem Schußarm und hinter dem Rücken angelegter Nicht-Schußhand akkurat so abzufeuern, wie es seinerzeit das Armee-Reglement vorschrieb und es auch in Sportlerkreisen üblich war.
Aus dem gleichen Grund sind moderne Sport-Governments etwa des Typs "Race Gun" tabu und nur originalbelassene Futteralversionen gestattet. IPSC-Holster und Schnellzieh-Magazintaschen scheiden ebenfalls aus. Statt dessen dürfen die Teilnehmer ihre Pistolen in Mexican-Loop-Holstern mit Sicherheitsriemen oder im Kavallerie-Holster M 1912 (gibt"s unter anderem von El Paso Saddlery, aber auch von indischen Herstellern als Replika) führen.

Für das schnuppermäßig ausgetragene Premierenmatch interessierten sich vom Fleck weg zirka 50 Leute allein in Philippsburg. Weil aber Petrus an dem Sonntagmorgen an den Himmelsschleusen gespielt hatte, blieben ein paar Mann weg. Alle anderen aber erlebten in Philippsburg einen spannenden Wettkampf, der nicht nur den Western-Schützen eine Bereicherung verspricht, sondern auch allen Besitzern einer naturbelassenen 45er Single-Action-Pistole im Stil der M 1911 Government und ihrer Verwandten ein neues sportliches Betätigungsfeld eröffnet.

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